Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Stimmt das?
Wenn es stimmt, was sollen dann die Bildlegenden, diese meist knappen Sätze, die das Bild offenbar
erklären oder ergänzen?
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Aber selbst die besten Illustratoren sind unfähig, diesen
Satz, diese in Worte gefasste Aussage in einem Bild wiederzugeben. Und wem diese Überlegung
zu spitzfindig, zu dialektisch ist, dem sei mit einem Beispiel geholfen:
Das Bild zeigt eine Kirche, die Turmuhr auf 14.34 Uhr. Die Bildlegende: "Kirche von Kalávrita, um
14.34." Solche "erklärenden" Worte sind banal. Wenn aber die Bildlegende sagt, dass die Uhr
seit dem 13. Dezember 1943 still steht, und der Text auch noch erklärt, warum, dann kommen
über die Sprache Dinge an den Tag, die das Bild nicht zeigt, nicht zeigen kann.
Das Bild ist eben oft bloss Chiffre, Signal, Code, mit dem man die kompliziertesten, schönsten,
schrecklichsten Geschichten, Ansichten, Einsichten, Wahrheiten aus unserem Gedächtnis abrufen,
den Ahnungslosen ins Bild setzen, den Unkundigen erzählen kann. Nun heisst es allerdings
Bildlegende, nicht Bildwahrheit, und Legenden haben nicht gerade den Ruf, es mit der Wahrheit
genau zu nehmen.
Die Bilder in diesem Buch sind wahr, soweit Bilder eben wahr sein können, und die Texte dazu
sind wahr, soweit Texte wahr sein können.
Wahre Geschichten, ausgelöst durch wahre Bilder, mal lapidar kurz, mal ausführlicher.